2004-05-22

Schottland - The Lighthouse, Pollok House und Mr Burrell

Hallo, ihr Unermüdlichen!
Worum es in diesem Post geht, könnt ihr wahrscheinlich schon erahnen: Ein Leuchtturm (hä? - mitten in der Stadt?) und ein Haus (ein großes, großes Haus!!!) und um Kunst...
Am Freitag habe ich mich also von meinem Lehrer verabschiedet, meinen Imbisswagen besucht und dann bin ich nicht gleich dem Leuchtfeuer entgegen, sondern erstmal im Borders hängengeblieben. Das ist ein supergeniales Paradies für Bücherwürmer, Schreibwarensüchtige, CD-Freaks und DVD-Junkies. War nicht mein erstes Mal, dass ich drin war, aber mein längster Besuch. Und der teuerste!!! Dafür war aber auch die Tüte schwer... Eine monströse Grammatik, ein Selbstlernlehrbuch , einmal Peter Pan (Auftragsbuch – hallo Nadine!) und – lacht jetzt nicht über mich – die King James Version der Holy Bible. Erstens, weil von Prof. Kamm uns Anglos dies ans Herz gelegt, da Dickens & Co. natürlich ihre Bibelanspielungen nicht aus der 70er Jahre-Neufassung genommen haben, und außerdem finde ich den Text in der 1611er-Ausgabe weit ergreifender als sämtliche Neuübersetzungen.
Also, so habe ich mein Bücherbündel die Fuzo hinuntergeschleift und nach den Lichtsignalen Ausschau gehalten, die ich natürlich nicht gesehen habe. (War kein Birnchen drin...) Nein, im Ernst: Zum The Lighthouse – Scotland’s Centre for Architecture, Design and The City musste ich mich erst durchfragen. Als ich reingekommen bin, befand ich mich schlagartig inmitten der architektonischen Moderne. Der subway-reversed-overkill sozusagen. Unten ging es ja noch, denn die Damen am Eingang waren sehr nett, haben mich abkassierte und mein Gepäck übernommen... aber dann ging es mit einem merkwürdig auseinanderfaltbarem Programm in der Hand die Rolltreppe mit den blauen Glühdingern dran hinauf... und ich wiederholte nur leise „2, 3 und 5 für die Ausstellungen“. Ebene 1 habe ich auch gleich hinter mir gelassen – Vortragsräume und der Laden, der ein halbes Möbelhaus war. Dann Ebene 2: Die zwar vorhandene Beschilderung sagte mir nichts – nur was mit e-learning... Aber dass das nichts mit meiner Vorstellung von einer Ausstellung zu tun hatte, begriff ich schnell, als ich mich an einen der PCs setzte, das Headset aufsetzte und mich mit einem Mausklick als Manager einer Internetradiostation in der virtuellen Welt wiederfand. Nein, das war mir eindeutig erstmal zu interaktiv! Auf der Suche nach ein bisschen „Jugend“stil landete ich in der „wee people’s city“, doch da ich gleich an der Eingangsprüflatte mit meinen 171 hängen blieb, warf ich nur einen kurzen Blick auf die ach-so-schönen Spielsachen und begab mich zurück zur Rolltreppe, wo ich dann auch das erste entdeckte, das wie ein Display aussah: Eine Wand aus herausziehbaren Ziegelsteinen, jeweils rundherum beklebt mit den Fotos, die ein Glasgower Kind in seinem Wohnumfeld geknipst hatte. Das war schon eher was für mich...
Weiter oben wurde ich schließlich doch noch fündig: Eine sehr vielfältige Ausstellung über Toshie mit Treppe zum „Leuchtturm“ und Aussicht über die Innenstadt, eine Ausstellung von Schmuck einer jungen Designerin, ein Raum mit fünf langen Schaukästen unter dem Motto „Fieldtrip“ und vermutlich sündhaft teure Riesenfotos von Budapester Architekturhighlights in der Long Gallery. Ich nahm schließlich – nicht ohne einen Rundgang durch den Laden – die Treppen nach unten, sammelte meine Wälzer ein und nahm die Bahn nach Pollokshields West. Das Abendbrot bestand darin, dass ich mit Heather über die knallgrünen – weil spinathaltigen! : ) – Kartoffelpuffer diskutierte und mich fasziniert über die gegrillten Pilze mit Schinken, Käse und Lauch hermachte. Kennt ihr die Episode mit der blauen Suppe bei Bridget Jones??? (Für alle, die den Film oder die Bücher nicht kennen: Sie benutzt blaue Schnur zum Einwickeln irgendeiner Zutat und hat am Ende ein leuchtend blaues Süppchen im Topf...)
Am folgenden Morgen wurde erstmal ausgiebig gebruncht, denn es war Heathers Geburtstag. Da sie aber Besuch von ihrer Familie bekommen sollte, brach ich danach auf zum Pollok Estate. Zieht niemals neue Schuhe an, wenn ihr nicht so genau wisst, wann ihr sie wieder ausziehen könnt!!! Am Anfang allerdings war ich noch sehr vergnüglich, denn es war ein schöner Sonnentag und der Weg zu dem großen Gut führte mich durch ein paar Straßen mit netten Villen (, bellenden Hunden, schrillenden Autoalarmanlagen...) Na, wir wollen ja mal nicht fies sein! Schließlich gelangte ich am Anfang der Parkanlagen an. Der Park war ausgedehnt und praktisch nicht beschildert, aber ich verließ mich ganz auf meinen pocket guide – und gelangte auch prompt zuerst an der falschen Attraktion an... Aber Programm war Programm und ich wollte erst das herrschaftliche Anwesen der Maxwell Family besichtigen, die sich auf Wilhelm den Eroberer zurückführt (für alle, die es nicht mehr wissen: Battle of Hastings 1066), was ich mit leichtem Schmunzeln zur Kenntnis nahm. Zwischen Pferdekoppeln und Reisebussen hindurch kam ich irgendwann dorthin – und staunte nicht schlecht. Nicht nur darüber, dass der freundliche Herr am Eingang misch für einö Fransösin hielt (Blaugestreifte Bluse? Ballerinas mit Fesselriemchen? Nein, ich weiß: auf meinem beigen Rock steht bestimmt unübersehbar groß „Esprit“!) Na, jedenfalls war ihm sein Irrtum furchtbar peinlich, doch war seine Welt wieder in Ordnung, als ich gleich noch den Führer über das Haus kaufte. Daraus stammen nun auch die nachfolgenden Weisheiten:
Das Anwesen stammt aus der Mitte des 18. Jhs und verfügt über eine Vielzahl von Räumen, zum großen Teil mit originalem Mobiliar und einer Menge sehenswerter Bilder (spanische Meister wie Goya und El Greco!). Besonders gefallen hat mir die Bibliothek, ein pavillionartiger Raum mit Türen zum Garten, innen mit ionischen Säulen unterteilt in drei Teilräume, die nicht weniger als 7000 Bücher beherbergen und als „finest library“ in ganz Schottland beschrieben werden. Was noch erwähnenswert ist, ist das Jagdzimmer im Dienstbotengang (Keller): In diesem gun room, der um 1900 so eingerichtet wurde, haben diverse Gewehre, Munition, Ausrüstung und Reinigungssets Platz, neben diversen Jagdtrophäen und Jagdbildern. Ein sehr rustikaler Anblick mit den aus dunklem Holz getäfelten Wänden...
Danach bin ich in den Parkanlagen des Hause herumspaziert, die sehr liebevoll mit Frühlingsblühern in peppigen Farbkombinationen bepflanzt waren, und habe mich dann zur zweiten Attraktion, der Burrell Collection begeben. Diese Sammlung eines Reeders wurde der Stadt 1944 geschenkt und umfasst 9000 Einzelstücke, aber erst 1983 fand sie ein neues Heim, denn der schlaue Mann hatte verfügt, dass die Sammlung 16 Meilen vom Stadtzentrum entfernt gezeigt werden sollte – was jetzt zwar nicht der Fall ist, aber ländlich ist es dort sehr wohl! Burrell hatte wahrscheinlich Angst um seine kostbaren Wandteppiche... aber Glasgows Luft ist sehr viel sauberer geworden, so dass ich nicht glaube, dass sie dort Schaden nehmen. Insgesamt sind dort ägyptische, griechische, römische, chinesische, islamische und mitteralterliche Kunstwerke ausgestellt sowie Gemälde (v. a. Degas, Cezanne) und Plastiken (Rodin!), besagte Teppiche, bestickte Gewänder, Waffen und Rüstungen, Glasfenster und originalgetreue Rekonstruktionen dreier Räume aus seinem Schloss, Hutton Castle.
Ich bin ja ein großer Fan der Antike und habe schon einiges gesehen an Funden, aber der Mann wusste, was schön ist! Es waren sehr gut erhaltene und feine Gefäße dabei, Sarkopharge, Statuetten... Also, wer nach Glasgow kommt: Diese Sammlung ist ein absolutes Muss!
So, nun war ich also ziemlich fußlahm – weil weit gelaufen – und natürlich mit neuen Schuhe unterwegs... Also quälte ich mich quer durch den Park zum Haltepunkt Shawlands, dessen Lautsprecherdurchsagen auch für die Eingeborenen unverständlich blieben – wir hofften nur, dass die Bahn überhaupt kommen würde. Tat sie schließlich auch...
In der All for one-Bar im Zentrum traf ich dann die Geburtstagsgesellschaft wieder. Ich hoffte eigentlich auf Futter, aber es gab erstmal nur Wein. Und jeder gab mir was aus! Ich kann nicht sagen, dass ich mich gelangweilt hätte... : ) Danach ging es weiter zu einem Italiener, wo wir draußen im Kühlen saßen, dann in ein Irish Pub in den Markthallen der Merchant City, danach in eine weitere Bar gegenüber, bis wir gegen halb neun (mein Magen hing durch bis auf den Fußboden und ich war sehr heiter ; ) in der spanischen Tapasbar daneben einen Platz bekamen.
Howard hatten wir vorübergehend verloren, da er zuhause noch ein bisschen was nachschlafen musste, denn er hatte die ganze Nacht an irgendeinem Auftrag gearbeitet und nur zwischen drei und vier eine Stunde schlafen können. Der Rest unserer Truppe, alles Junggebliebene um die 40, bestand aus zwei Buchhaltern, einer Arzthelferin, einer HNO-Krankenschwester, einem Museumsdirektor und zwei weiteren irgendwas-Managern. Ich unterhielt mich sehr angeregt mit dem Museumsmenschen, der mal in Paderborn als Soldat stationiert gewesen war und hörte mir seine Lebensgeschichte an...
Erst gegen Mitternacht fuhr uns drei Pollokshieldser jemand nach Hause und ich musste doch so früh raus! Denn nun kam der große Tag, auf den ihr alle wartet: die Highlands! Ich hoffe, mir ist keiner böse, dass ich ihn getrennt posten werde, aber ich dachte, das wäre leserfreundlicher...
Sigrun

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