2004-05-19

Schottland - Von der Kathedrale bis zum Botanischen Garten

Hallo, meine Schottlandbegeisterten! Poste Euch heute alles von der Kathedrale über die Stadt der Toten und die liebenswerte Miss Toward bis hin zu Whistlers Frauen und dem Palmenhaus... Seid ihr gespannt?! Schööööön!
Am Dienstag morgen hatte ich eine erste Negativerfahrung mit den Bussen: Man hat mich glatt stehenlassen – „I’m full!“ – aber der nächste 57er hat mich dann mitgenommen. Schön, wenn einem am zweiten Tag, an dem man Bus fährt, schon die Leute zuwinken, neben denen man am Tag zuvor gesessen ist und die das Glück haben, dass sie nicht unbedingt die 57 brauchen... Nach einem dennoch pünktlichen Schulbesuch bin ich zum Mittagessen an einem der Imbisswägelchen angestanden (bekannt als „to queue“, auch very British). Die hatte ich vom Montag in guter Erinnerung, denn man kann da so herrlich nach dem Weg zur Schule fragen : ) und das Essen ist auch billig. Also gab es einmal bacon roll für mich, bevor ich mich in die 42A setzte und quer durch die gesamte Innenstadt fuhr (das Einbahnstraßensystem ist very sophisticated – dreispurig und der ganze Verkehr besteht zu zwei Dritteln aus Bussen seit der Deregulierung), um an der Royal Infirmary auszusteigen. Das ist ein riesiges viktorianisches Krankenhaus, das einmal sandgestrahlt werden müsste, denn es ist furchtbar schwarz! Gleich dahinter ist die Kathedrale, in der ich eine ganze Weile herumgelaufen bin, weil sie zahlreiche Anbauten und Krypten hat. Doch, sie ist wirklich einen Besuch wert. Anschließend bin ich über die Brücke der Seufzer (sie hat leider nicht geseufzt, aber vielleicht war ich ihr nicht schwer genug oder noch zu lebendig) in die Stadt der Toten, die Necropolis, hinübergewandert. Die meisten von Euch haben vielleicht schon mal von dem Pariser Friedhof Pére Lachaise gehört – damit wird Glasgow manchmal verglichen, denn der Anblick ist echt beeindruckend. Der Friedhof liegt auf einem Hügel und zieht sich den ganzen Hang hinunter, so dass man eine tolle Sicht innerhalb des Geländes hat. Die Anlage ist sehr grün (schottischer Rasen) und im unteren Teil ist die deer area. Da springen dann die Hirsche zwischen den Grabmälern, den Steinengeln und –urnen und den Bodenplatten herum...
Als ich den höchsten Punkt erklommen hatte und wieder nach einem befestigten Weg gesucht habe (weil ich ja ein netter Mensch bin und nicht den Rasen unnötig zertrampeln wollte), ist mir einer der Arbeiter mit seinem Fahrzeug begegnet. Er hat sein Fernglas ausgepackt und mich hergewunken – so konnte ich noch einen schönen Blick auf die Hirsche werfen und meine Patterkenntnisse erweitern...
Für die, die es noch nicht wissen: Ich liebäugele für mein Landeskunde-Diplom mit dem Spezialthema Religion und was darf man da nicht auslassen? Natürlich, das erste Museum für religiöses Leben und religiöse Kunst, das direkt neben der Kathedrale liegt. Die Brücke der Seufzer hat mich also schweigend zurückgebracht zu dem sehr gut gemachten Museum, das in einem ersten Stock einen großen Raum mit einigen besonderen Stücken von religiöser Kunst zeigt (nein, nicht nur Madonnenbilder und Kreuze! Vielmehr einen lebensgroßen tanzenden Shiva, afrikanische rituelle Masken, einen muslimischen Gebetsteppich, diverse Buddhas etc.). Dahinter gelangte man in eine sehr informative Gallerie, die in Vitrinen Grundinfos zu Christentum, Islam, Judentum, Hinduismus, Buddhismus und den Sikhs gab und religiöse Gegenstände zeigt und erklärte. Daneben waren thematisch zusammengestellte Schaukästen zu Aspekten wie Taufe, Initiationsrituale, Hochzeit, Tod, Aberglauben, Missionierung, Klosterleben usw. zu sehen, wo versucht wurde, verschiedene Religionen nebeneinander abzudecken. Im zweiten Stock gab es noch eine Ausstellung über Religion in Schottland, die ziemlich geschichtlich ausgelegt war. Nichts gegen die Gallerie zuvor!!!
Abends saß also eine sehr müde Sigrun vor dem Fernseher und aß mit Howard die Reste des casoulets, weil Heather zu einer Konferenz nach Cardiff geflogen war und erst am Donnerstag wiederkommen sollte. Es lief irgendeine amerikanische Serie über Leute, die plötzlich verschwinden und die Suche nach ihnen... fühlte mich erinnert an die Braut, die sich nicht traut, nur dass die in der Serie erst beim Bankett verschwand...
Am Mittwoch habe ich mich nach der Schule erstmal in den Kelvingrove Park begeben, wo ich mit Haferkeksen meinen Hunger gestillt habe. Danach bin ich zum tenement house museum gegangen, das sich in einem ganz normalen Wohnhaus nordwestlich des Zentrums befindet. Dort gibt es in einer der Erdgeschosswohnungen eine Ausstellung zu der Geschichte der darüberliegenden tenement-Wohnung und ihrer Bewohnerin, Miss Toward. Ja, eine alte Jungfer; aber wäre sie nicht unverheiratet geblieben, hätte sie sicher niemals all den wundervollen alten Plunder angehäuft!!! 1911 ist sie mit ihrer Mama in die Wohnung eingezogen, 1939 ist die alte Dame gestorben und so hat Miss Agnes Toward, die als Stenotypistin bei einer Reederei beschäftigt war, alleine bis 1965 in den Räumen gelebt, bevor sie so schwächlich war, dass man sie im Krankenhaus behielt. Ihr Anwalt zahlte weiterhin die Miete, so dass bis zu Miss Towards Tod 1975 die Wohnung im Originalzustand erhalten blieb. Dann wird es abenteuerlich: Die Wohnung sollte eigentlich nur noch geräumt werden, aber in ihrem Testament hatte die Dame einige Stühle an ihren church elder (das ist eine presbyterianische Spezialität: die Gemeinden werden dort von gewählten Ältestenräten geführt) vermacht. Als dieser Mr Davidson besagte Stühle abholen wollte, begleitete ihn seine Nichte Anna, eine Schauspielerin, die von der Wohnung total entzückt war und daraufhin dort einzog. 1982 war sie es, die die Räumlichkeiten an den National Trust verkaufte...
Die Wohnung wurde zum Teil wiederhergestellt, aber vieles ist eben noch erhalten geblieben. Es gibt ein Schlafzimmer, einen kleinen Salon, eine wundervolle alte Küche mit traditionellem Herd und ein Bad, auf dessen Fensterbrett eine Unmenge niedlicher Fläschchen und Tuben stehen. Einfach eine tolle alte Wohnung! Die Austellung hatte als Sonderthema „Reisen“ und zeigte herrliche Postkarten, Briefe, Köfferchen und den Badeanzug der Dame aus den Vierzigern – als man noch „bekleidet“ badete! Ich war hellauf begeistert, denn selten wird Geschichte so anschaulich!
Danach beschloss ich, zur Haltestelle Cowcaddens hinunterzuspazieren, und mal die U-Bahn zu testen, die dort übrigens subway heißt. Mit meiner zone card durfte ich ja praktisch alles benutzen, was fährt. Ich war ja durch meinen Reiseführer auf einiges vorbereitet, aber wenn man Bilbao die Moderne gesehen hat, haut es einen in Glasgow halb um. Satte vierzig Meter Bahnsteig, superenge Treppen, mit Metallbarrieren gegen Drängler, ein niedriges Gewölbe, links der outer circle gegen den Uhrzeigersinn, rechts der inner circle im Uhrzeigersinn und winzigste Wägen mit Längsbänken, in denen man kaum in der Mitte aufrecht stehen kann... Nichts für Leute mit Platzangst, glaube ich. In der Fuzo kam ich wieder ans Tageslicht und weil mein Magen knurrte, landete ich am St Enoch Shopping Centre im Auld’s. Für die Kellnerin, die meine Oma hätte sein können, war ich dann auch gleich „my dear“ – und die sausage roll, hinter der ich ein Hot dog vermutete, erwies sich als eine Art Schweinsbratwürstchen in einer Blätterteigtasche... und wer weiß, wie sehr ich Bratwürste liebe, kann sich denken, dass ich die britische Küche in Gedanken mal wieder verwünschte...
Wie gut, dass es zu Hause bei Howard im Kühlschrank herrlichen Schinken, Kartoffelsalat und grünen Salat mit Gurken, Tomaten und rotem Paprika gab! Keine Ahnung, durch welches Fernsehprogramm ich mich an dem Abend guckte...
Am Donnerstag standen nach der Schule die Hunterian Art Gallery (benannt nach William Hunter, Geburtshilfepionier und Philantrop) und der Botanische Garten auf meinem Programm. Das Museum liegt mitten zwischen den Gebäuden der Universität und die Studis sahen erfrischend normal aus. Dass die Museen, die der Stadt gehören, nichts kosten, fand ich faszinierend. Tür auf, Tür zu und da stehst du mitten zwischen Rembrandt, Whistler und den Glasgow Boys und den Stühlen von Charles Rennie Macintosh...
„Toshie“ ist das große Aushängeschild der Stadt und da Universalgenie in Sachen Architektur, Inneneinrichtung und Design ebenso universell zu vermarkten. Eigentlich hoffte ich auf die größte Sammlung seiner Jugendstilgegenstände, aber die war leider gerade zu. So standen nur ein paar verwaiste Stühle zwischen den Gemälden. Die waren zum größten Teil impressionistische Malerei – natürlich nicht der Rembrandt ; ) – aber Whistlers große, schmale Frauendarstellungen (die mich mit ihren leuchtenden Kleiderfarben beeindruckten) und Glasgow Boys wie James Guthrie, die im Freien malten und ländliche Motive bevorzugten...
Danach marschierte ich weiter zu Botanischen Garten, der angesichts des eher bescheidenen Wetters ziemlich verweist war. Der Kibble’s Palace, der sonst diversen australischen Riesenbäumen ein Heim bietet, war geschlossen, denn auch hier wird fleißig gebaut. Die anderen Treibhäuser allerdings begrüßten mich gleich mit einem Rundbau voller Frühlingsblüher, einem plätschernden Wasserbecken und dem daran anschließenden Orchideenhaus. Selten habe ich so raffinierte Blütenformen gesehen. Ich bereute es sehr, dass meine Kamera noch immer ohne eingelegten Film in meinem Rucksack mitreiste...
Da das Orchideenhaus quasi eine Einbahnstraßenlösung ist, gelangte ich am Ende wieder zu den Tulpen und Narzissen zurück. Von dort aus ging es weiter zu den semiariden und dann zu den ariden Pflanzen, zu deutsch Kakteen. Vor allem nord- und südamerikanische Wüstengewächse waren vertreten. Durch die nächste Tür kam ich dann in ein riesiges Palmenhaus. Ich liebe Palmen!!! Gut, dass ich mit der Goretex-Jacke losgezogen war, denn die Pflanzen tropften ziemlich – das Personal war nämlich gerade mit riesigen Sprühaufsätzen am Gießen! Vom Palmenpalast aus gab es noch zwei Seitengänge mit tropischen Pflanzen, Farnen und allerlei Grünzeug, das auf Bäumen wuchert. Zwischendrin waren aber auch ein Zimtbäumchen, Kakaopflanzen, Bananenstauden und alles gut beschildert... Die Begonien waren gerade nicht zugänglich, aber das war okay. Mit Palmen kann man mich erstmal wunschlos glücklich machen... : )
Ziemlich erschlagen saß ich danach draußen in der Parkanlage und ruhte meine geschundenen Füße aus. Dabei wurde ich Zeugin eines herrlichen Schauspiels: Auf dem asphaltierten Weg, der nach dem Regen voller Pfützen war, war eine Mami mit Buggy unterwegs. Ihr folgte, immer schön durch die Pfützen platschend, ein kleines Mädchen, das gerade gut laufen konnte. Sie begleitete ein gutmütiger Teddybär, der fast so groß war wie die Kleine selbst, und der sich ohne Brummen am Ohr packen ließ und sogar als er am Schwanz gefasst und quer durch die Pfütze geschleift wurde, protestierte er nicht. Er tropfte nur, sehr zur Begeisterung der Mama, die nur einen resignierenden Blick auf seine patschnassen Pfoten warf und sich wahrscheinlich dachte: Das bleibt nur noch die Waschmaschine... : )
Wie schön, dass ich am Abend Heather davon berichten konnte, die von Wales erzählte und mir und Howard herrliche Nudeln mit Speck, Pilzen und Tomatensauce kochte! Die nächsten zwei Tage poste ich wieder extra: Dann geht es nochmal auf zu Kunst und Kultur und einmal durchs Nachtleben in der Merchant City!
Sigrun

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