2004-05-18

Schottland - People's Palace und Mitchell Library

Hallo, meine treuen Leser! Nachdem ihr nun alles über meine Familie und das Glasgower tenement sowie seine Einrichtung wisst, schreibe ich mal, was ich zu Beginn der ersten Woche so alles unternommen habe.
Ich hatte ja vormittags immer den Sprachkurs, so dass ich meist um 8:30 Uhr rennenderweise nach einem Blitzfrühstück zur Bushaltestelle getigert bin, und gehofft habe, dass mich eine 57 nach Charing Cross mitnimmt. (Fühlt Euch an London erinnert!) Dass mich die 57 praktisch bis vor die Türe der Schule gefahren hätte, habe ich erst am letzten Tag entdeckt. So bin ich immer noch eine Viertelstunde spazieren gegangen. Mein Lehrer Alan war noch ziemlich jung, wegen Zweitjob als Teilzeitbuchhalter meist gut angezogen und sehr nett. Und schon vergeben, klar ; ) Wir hatten in den Stunden recht schöne Themen wie Feng-Shui, Darten, Namen, Männer und Frauen, Frida Kahlo, Kunst allgemein, Shakespeare etc. Wenn ich nicht zum zehnten Mal das Gleiche kommentieren muss, lockt man mich auch leichter aus der Reserve. Sehr gekämpft habe ich gegen die Idioms, die Antonyme (auf die ich nie kam) und gegen den schottischen Akzent meines Lehrers bei den Hörverständnisübungen. Insgesamt war ich sehr zufrieden mit dem Unterricht! Also, falls es jemanden nach Glasgow verschlägt, kann ich The Macintosh School of English Language empfehlen.
Meine Erfahrungen mit dem Patter waren folgende: wichtigste Vokabel ist „wee“. Das bedeutet „klein“ oder „unbedeutend“. Das kann eine Person sein: „the wee ones“ sind also die Kinder und „wee people’s city“ ist das Spielparadies für die Kinder im Lighthouse, von dem ich noch berichten werde. Howard pflegte das Wort aber folgendermaßen zu benutzen: „Why do I always get the wee portion? She always gets the big one!“ Mit „she“ meinte er mich und entrüstete sich spaßhalber über Heathers Versuche, meine Figur in zwei Wochen grundlegend zu verändern... was ihr (leider) nicht gelang. Ansonsten sind die Leute nicht sehr entgegenkommend, was die Aussprache angeht: Wenn du nachfragst, sagen sie dir fünfmal denselben Kauderwelsch. Von dem was die beiden neunjährigen Schulmädchen aus Newton in der Vorortbahn sagten, verstand ich praktisch kein Wort. Sie interessierten sich aber sehr für das Bildchen, das in meiner zone card klebte, als der Kontrolleur kam. Soviel bekam ich mit. Und die molligere der beiden Gören hatte die gigantischsten Löcher in der Strumpfhose ihrer Schuluniform, die ich jemals gesehen habe. Mehr Loch mit Stumpfhose als Strumpfhose mit Loch... the wee ones ; ) ...
An meinem Ankunftstag, dem Samstag, goß es ohne Pause. Wäre ja nicht GB ohne Regen! Mein niederländischer Flieger hatte ab Amsterdam ziemliche Verspätung, denn nach dem Durchqueren des Gates mit den üblichen Formalitäten mussten wir nochmal eine ganze Weile warten, weil noch irgendwas mit der Maschine war. Ich mag den Amsterdamer Flughafen sowieso nicht, weil er riesengroß und mir zu modern ist. Das aber hat mir dann den Rest gegeben! Als ich in Glasgow draußen war, bin ich nach einem Abstecher zum Geldautomaten in den Shuttlebus geflitzt (Regen!) und zur Buchanan Street Bus Station gefahren, wo im benachbarten Langs Hotel in der Bar Heather auf mich wartete. Sie hat mich durch die Glasfenster auch gleich entdeckt (ich hatte immerhin nur eine halbe Stunde Verspätung) und mich erstmal willkommen geheißen, sich vorgestellt und mich mit Kaffee und fizzy apple versorgt. Wir haben geplaudert, bis Howard gekommen ist und dann sind wir mit dem Auto (kleiner französischer Flitzer made by Peugeot) nach Pollokshields hinausgefahren. Abends gab es eine sehr dekorative Vorspeise aus Rukola, Paté und Haferkeksen und danach Huhn mit Erbsen und Reis (very British).
Am Sonntag habe ich ziemlich lange geschlafen, ein bisschen mitgebruncht (Kartoffelpfannkuchen, Speck, Eier etc.) und mich mittags auf den Weg zum People’s Palace gemacht. Recherche zur Stadtgeschichte sozusagen. Ich bin von der Central Station über den Salzmarkt hinausgelaufen, bis ich schließlich ans Glasgow Green gekommen bin: Noch heute hat jeder Bürger der Stadt das Recht, dort Schafe weiden zu lassen und seine Wäsche zu trocknen. Kleine Enttäuschung: kein Schaf, keine flatternden Hemden – die Glasgower scheinen auf Synthetik und Wäschetrockner umgestiegen zu sein. Vor dem nicht so wäschefreundlichen Wetter musste ich mich auch gleich in das Glashaus hineinflüchten, wo mich angenehme Wärme, Kaffeegeschirrgeklapper und viel Grün begrüßten. Nachdem ich mich im Wintergarten umgesehen und meinen Stadtführer konsultiert hatte, bin ich die Treppen im Backsteinteil des Gebäudes hinaufgestiegen und fand mich mitten in der Geschichte der Stadt wieder.
Das Museum ist sehr empfehlenswert, mit gutem Medieneinsatz und vielen interessanten Exponaten. Lustig fand ich all die „Waffen“, die die Polizei bei einer Kundgebung der Sufragetten beschlagnahmt hatte (erinnerten an Nudelhölzer : ) und sehr beeindruckend fand ich eine Geschichte aus dem zweiten Weltkrieg, bei der das dicke Büchlein, das ein Schotte einem gefallenen deutschen Soldaten abgenommen hatte und das er in seiner Brusttasche trug, ihm zusammen mit einem davorliegenden Metallspiegel das Leben rettete. Als ihn nämlich eine Kugel traf, wurde sie von dem Spiegel gebremst, den sie allerdings noch durchschlug, doch blieb sie in dem kleinen Wälzer stecken. Ratet mal, was da u. a. drin war: Ein Bildchen der Altöttinger Madonna...
Als ich nach zwei Stunden Rundgang in den Räumen und einer weiteren Runde durch den Wintergarten (mit Päuschen auf einer Bank) schließlich zurück zum Bahnhof und dann nach Pollokshields kehrte, zog es mich sehr auf das Sofa und vor den Fernseher. Doch wir hatten ja Besuch! Besuch von Steven... Man hatte mir ihn am Tag zuvor schon ganz liebevoll angekündigt und mir gesagt, er sei ein wenig seltsam (weil schüchtern : ) und natürlich musste man ihn zuerst fast ins Wohnzimmer tragen, damit er mir hallo sagte, und ebenso schnell war er dann auch erstmal wieder draußen.
Nachdem er beim folgenden Abendessen brav in seiner Hackfleisch-Pie herumgestochert hatte (mein vollstes Mitgefühl – mir schmeckte sie nämlich auch nicht wirklich!), taute er erst auf, als er uns zwei Damen die Vanillesauce über den Kirschstrudel gegossen hatte. Eine große Aufgabe für einen dreizehnjährigen Jungen ; ) (Howards grinsender Kommentar: I like your doing that). Als wir dann ein paar Fragen über die Schule stellten, wo es ihm natürlich nicht gefällt ; ) fühlte er sich richtig in seinem Element. Mir würde eine Schule auch nicht gefallen, bei der der Cross-Country-Lauf darin besteht, dass man die Kids auf dem Asphalt um den Häuserblock jagt, wenn es da in der Nähe einen Park gibt. Total bescheuert... Jedenfalls hatten wir eine sehr vergnügliche Unterhaltung, bis das Essen beendet war und Howard Steven nach Hause fuhr (die beiden sind um ein paar Ecken verwandt).
Am Montag absolvierte ich morgens mein erstes Stückchen Sprachkurs und gönnte mir dann ein griechisches Mittagsessen in der Sauchiehall Street (so-ki-hool, für alle, die sich fragen, wie man das richtig ausspricht). Das Restaurant war ganz nett, mit viel Deko (Schiffchen, Inseln und Bildern an der Wand) und das Essen war okay. Ich fand es störend, dass man den Salat und das Lamm mit Oregano und Knoblauch auf dem Pittabrot servierte, denn das arme Brot war dadurch arg durchgeweicht, aber nun gut...
Gleich um die Ecke lag dort die Mitchell Library, Europas größte Präsenzbibliothek. Total unkompliziert, falls man mal dort angekommen war, wo man hinwollte... Ich fragte vorsichtshalber gleich den netten Herrn am Eingang und fand dann vorbei an der Robert Burns-Sammlung (schottischer Nationaldichter) durch endlose Gänge den Weg in die „carpeted area“  und hinauf in den Glasgow Room, wo man einfach mit Rucksack durch die Türe hereingehen darf und sich an den Tischen ausbreiten kann (Passau?!). Die nette Bibliothekarin zog nach einer kurzen Einführung gleich die richtige Literatur zu meinem Thema aus dem Regal... paradiesisch, was?!
Abends gab es etwas namens cassoulet mit Ofenkartoffeln, was mit einem nicht-ungarischen Gulasch vergleichbar ist. Dazu gab es Gemüse: Zucchini und Karotten, aber lecker, da nicht matschig gekocht. Brrr, ich hasse Matschgemüse!
So, ich glaube, ich muss Dienstag usw. getrennt posten, denn sonst bekomme ich Morddrohnungen ; ) Hoffentlich frisst das Netz nicht wieder meine Zeilenschaltungen. Die Uhr geht auch nicht, da müsst ihr vier Stunden draufschlagen (Ich melde mich, wenn es mir gelungen ist, sie umzustellen....)...
Sigrun

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